Gott, ist das spannend!
Ich klammere mich mit beiden Händen links und rechts an dem roten Plastiksessel fest, auf dem ich sitze. Während ich innerlich meine Mannschaft anfeuere, schlägt mein Herz wie wild in meiner Brust und zur Abwechslung ist das ein gutes Zeichen.
Okay, ich übertreibe. Meinem Herzen geht es gut. Aber … meine Mannschaft. Ich muss über mich selbst lachen. „Meine“ Mannschaft. Ehrlicherweise bin ich kein besonders großer Eishockeyfan. Das als Schwede laut auszusprechen, ist meistens keine gute Idee. Diese Leidenschaft hat mich aber nie so richtig ergriffen,nachdem es mir als krankes Kind verwehrt geblieben ist, viel Sport zu treiben. Zuschauen ist nicht das Gleiche. Für mich zumindest. Zuschauen hat mich nie wirklich in diese Sportart hineinkippen lassen.
Bis heute …
Ich starre auf die Mannschaft, die unten in grün-roten Trikots übers Eis fegt. Irgendwie ist der Frölunda HC, der Göteborger Verein, der in der ersten schwedischen Liga spielt, doch meine Mannschaft. Sören, einer meiner besten Freunde, steht gerade unten auf dem Eis und versucht mit voller Konzentration, das Spiel zu unseren Gunsten zu entscheiden.
Denn vom heutigen Ergebnis hängt mehr ab, als nur ein einfacher Sieg. Heute geht es um alles. Okay, nein, es ist keine Entscheidung über Leben und Tod, wie wir sie im Krankenhaus leider viel zu oft treffen müssen. Aber es geht um die schwedische Meisterschaft.
Die halbe Stadt ist auf den Beinen. Dass ich an eine Karte für das heutige Spiel gekommen bin, habe ich nur Sören zu verdanken. Die Tickets waren innerhalb von Minuten ausverkauft und die Preise beinahe unerschwinglich.
Aber Sören hat mir schon vor Monaten eine Saisonkarte geschenkt, als ich von meinem Auslandsaufenthalt in Terengien zurückgekommen bin. Auf dem kleinen Inselstaat in der Nordsee habe ich das abschließende Praktikum meines Medizinstudiums absolviert. Leider konnte ich nicht viele Spiele besuchen, da mir die Dienstplangötter ganz und gar nicht hold waren. Aber so ist das Leben manchmal.
Dann kam allerdings die tolle Überraschung, dass diese Saisonkarte sogar für die Play-offs gültig ist. Sören hat mir die unerwartete Info mitgeteilt, als er mich anrief, um sicherzugehen, dass ich zum ersten Spiel nach der regulären Saison kommen würde. Deswegen kann ich heute hier sein. Meine Kolleginnen und Kollegen waren alle so neidisch, als ich, den rot-grünen Frölunda HC Schal um den Hals geschwungen, das Krankenhaus verlassen habe.
Mein Assistenzarztkollege Viktor ist mir sogar nachgelaufen und hat mit einem letzten, verzweifelten Bestechungsversuch probiert, mir doch noch die Karte abzuluchsen. Aber selbst das Angebot, dass er für drei Monate alle meine Wochenenddienste tauschen würde, habe ich ausgeschlagen. Denn auch wenn ich bisher kein besonderer Eishockeyfan war, muss ich gestehen, dass ich in dieser Saison mehr und mehr dem Sport verfallen bin. Was sicher auch damit zu tun hat, dass ich einige der Männer, die unten auf dem Eis für den Sieg kämpfen, persönlich kenne. Das gibt dem Ganzen eine spezielle Note.
Aber zurück zum heutigen Abend. Aufgeregt rutsche ich auf dem nur bedingt gemütlichen Plastiksessel hin und her. Die Karten stehen gut für uns. Es ist erst Spiel fünf und die Finalserie kann bis zu sieben Spiele haben – wer zuerst vier davon gewinnt, ist der neue schwedische Meister. Wir haben bereits drei für uns entscheiden können. Unser Gegner Luleå erst ein einziges. Wenn wir das heute hinbekommen …
Ich zwinge mich dazu, meinen Gedankenfluss zu unterbrechen und … schüttle schon wieder grinsend den Kopf über mich selbst. Denn mir wird klar, dass es nicht nur das Interesse an Eishockey ist, das Sören mir in den letzten Monaten erfolgreich eingeimpft hat. Eishockeyspieler sind notorisch abergläubisch. Sich zu früh über einen Sieg zu freuen, käme einem Sakrileg gleich. Von Sörens anderen Marotten und den Ritualen, die er vor einem Match immer tun „muss“, will ich gar nicht erst anfangen.
Aber die Tatsachen sind: Es ist das letzte Drittel. Die Uhr zeigt nur noch fünf Minuten. Und wir führen.
Doch unser Vorsprung ist nicht groß. Nur ein Tor. Das einzige Tor, das in diesem ganzen Spiel gefallen ist. Gabriel Verieux hat es gleich in der dritten Spielminute erzielt. Seitdem steht es 1:0 für uns. Es ist zum Haareraufen.
Kommt schon!, feuere ich Sören und sein Team innerlich an. Wobei ich es auch herausschreien könnte, tun die anderen Fans in der Halle ebenso. Aber ich bin eher jemand von der ruhigeren Sorte.
Erschrocken halte ich die Luft an, als Sören wieder einmal mit Schwung in die Bande gedrückt wird. Aber mein Freund schüttelt den groben Check ab, als wäre nichts gewesen, und spielt weiter. Er war schon immer ein harter Hund – auch mit fünfzehn Jahren, als wir uns kennengelernt haben. Mir gegenüber hat er aber aus seinem weichen Kern nie ein Geheimnis gemacht. Gott sei Dank!
Mein Blick wandert zu der großen Uhr – noch zwei Minuten. Es sieht gut aus … Und ich habe es verschrien. Luleå zieht ihren Goalie. Jetzt sind sie mit sechs Feldspielern auf dem Eis gegen unsere fünf. Ich fasse die Kante meines Stuhls noch etwas fester. Meine Knöchel sind sicher schon ganz weiß. Am liebsten würde ich auf meinen Nägeln herumkauen, aber das hilft erstens gar nichts und würde zweitens nur dazu führen, dass übermorgen meine Finger unangenehm brennen, wenn ich mich für den OP einwasche. Nein, das ist es nicht wert!
Aber selbst unter diesen erschwerten Bedingungen machen Sören, sein Freund und Partner Tom Dietrich sowie die anderen Spieler der ersten Linie einen verdammt guten Eindruck auf dem Eis. In meinen Augen macht sich der Frölunda HC viel besser als unsere Gegner aus Luleå. Die Tabellenersten wirken beinahe so, als hätten sie bereits aufgegeben. Aber das kann doch nicht sein, oder? Wer würde in so einer Situation aufgeben?
Zu früh gefreut. Ein Spieler aus Luleå, auf dessen Rücken groß die Nummer 38 prangt, versucht sich an den Frölunda-Verteidigern vorbeizuschmuggeln. Finn Anderson reagiert sofort und zieht mit nach links. Mein Herz rutscht mir beinahe in die Hose, als die 38 einen Haken schlägt und mit voller Geschwindigkeit rechts an Anderson vorbeizischt.
Ein Raunen geht durch die Menge und ich brauche einen Augenblick, bis ich verstehe, dass der Stürmer zwar an Anderson vorbei sein mag, der Puck aber bei dem Frölunda-Spieler geblieben ist.
Dieser behält die Scheibe allerdings nur kurz und passt sie dann einem unserer Stürmer, Gabriel Verieux, zu. Aber wieder wird nichts aus dem Spielzug. Zwei große Verteidiger von Luleå, die eher wie Schränke als Menschen wirken, drängen sich dazwischen. Erschöpft lasse ich mich in meinen Stuhl zurückfallen. Dieses Spiel kostet mich gerade Lebensjahre. Wie kann es sein, dass allein das Zuschauen so nervenaufreibend und anstrengend ist?
Wieder wandert mein Blick zu der großen Uhr. Nur noch zwanzig Sekunden. Gott sei Dank! Ich weiß nicht, wie lange ich es noch aushalte.
Auf unserer Bank hält es keinen mehr. Alle Spieler sind auf den Beinen. Die Stimmung in der Halle ist zum Zerreißen gespannt, als die 38 es noch einmal schafft, sich den Puck zu krallen. Mit voller Geschwindigkeit rauscht er hinter unser Tor. Ich halte den Atem an, als er den Schläger hebt, auf dessen Schaufel sich der Puck befindet.
Aber da ist Sören. Stellt sich zwischen den Goalie und die 38. Blockiert mit seinem Körper die Torstange. Gibt dem Gegner nicht die geringste Chance.
Diesmal ist mein Jubelschrei laut zu hören. Selbst ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Etwas überrascht stelle ich fest, dass ich mittlerweile auch auf den Beinen bin. Wie das passiert ist, bin ich mir nicht so sicher, aber im ganzen Stadion hält es niemanden mehr auf den Sesseln.
Fünf … Laut brüllend leitet das Publikum den Countdown zum Ende des Spieles ein.
Vier … Die 38 hat immer noch nicht aufgegeben und versucht erneut, an den Puck zu kommen.
Drei … Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Zwei … Okay, die Scheibe ist jetzt außer Reichweite. Sörens Kollege aus der Verteidigung wusste genau, was er zu tun hatte.
Eins … Bitte!
Null … Jaaaaaaaaaa!
Der Schiri pfeift ab und ich springe in die Luft. Meine zur Faust geballte Hand schnellt nach oben. Wir haben gewonnen! Wir sind schwedischer Meister!
Die Jubelrufe in der Halle sind ohrenbetäubend. Menschen liegen sich lachend und vor Freude weinend in den Armen. Die Luft vibriert.
Überglücklich beobachte ich, wie der Rest der Mannschaft über die Bande hüpft. Sören wird von Little Chris, einem jungen, hübschen Stürmerkollegen, der in der zweiten Linie spielt, so heftig umarmt, dass er ins Straucheln kommt. Zum Glück ist Dietrich gleich zur Stelle und stützt seinen Mann. Unser Team feiert ausgelassen auf dem Eis, während die Spieler aus Luleå mit hängendem Kopf in Richtung Kabine fahren.
Aber für sie habe ich kaum einen Blick übrig. Große Sprühsäulen gehen los und es regnet Konfetti. Wie es aussieht, hat die Halle für den Fall eines heutigen Sieges vorgesorgt – zurecht!
Sören hat seinen Arm um seinen Partner Dietrich gelegt und gemeinsam fahren sie Runde um Runde über das Eis. Von allen Seiten schallt ihnen und ihren Teamkollegen lauter Jubel entgegen. Es ist grandios. Die Feierlichkeiten wollen gar kein Ende nehmen.
Als nach über einer halben Stunde die Mannschaft endlich vom Eis geht, überlege ich, was ich jetzt machen soll. Ich habe Sören hoch und heilig versprochen, dass ich nach dem Spiel noch mit in Glenns Sportbar zum Feiern komme. Nachdem ich mich verquatscht habe und Sören weiß, dass morgen mein freier Tag ansteht, bleibt mir keine Möglichkeit, als wirklich mit dem Team auszugehen. Aber mich jetzt schon dorthin zu begeben, wird nur zu ewig langer Wartezeit führen. Bis alle umgezogen und geduscht, mit dem Cool-down und den ganzen Interviews fertig sind, würde es mich wundern, wenn die ersten Spieler in weniger als einer Stunde in der Bar aufschlagen. Trotzdem beschließe ich, in Glenns Sportbar vorzugehen, bevor ich hier noch von der Putzkolonne, die bereits ihre Arbeit aufgenommen hat, hinausgeschmissen werde.
Ich liebe mein Leben!
Das Grinsen auf meinem Gesicht ist so breit, dass ich wahrscheinlich etwas albern aussehe, aber das ist komplett und total unwichtig. Ich bin Eishockeyspieler. Wir sind in Schweden. Und wir haben gerade die Meisterschaft gewonnen. Die Damen werden sich heute um mich reißen, egal, was für einen Ausdruck mein Gesicht widerspiegelt.
Unter lautem Gejohle betrete ich mit meinen Kollegen Glenns Bar. Wir haben so ein Glück, dass wir die Finalserie auch noch vor Heimpublikum gewonnen haben. In unserer Stadt. Was auch heißt, dass wir jetzt in unserer Stammbar feiern können.
Kaum betreten wir den holzgetäfelten hinteren Bereich der Bar, steht dort Glenn höchstpersönlich mit Tabletts über Tabletts mit gefüllten Champagnergläsern. Wohooo! Ja, so muss man feiern! Nicht, dass wir uns nicht alle schon benehmen würden, als hätten wir bereits ein paar Gläschen intus, auch wenn dem natürlich nicht so ist. Wir sind vom Erfolg betrunken – die beste Art von betrunken, wenn man mich fragt.
Und dann gibt es da auch etwas, das meine Kollegen noch gar nicht wissen. Ich habe heute einen Anruf von meinem Agenten erhalten. Letztes Jahr wurde ich von den L.A. Kings, einer Mannschaft in der NHL, der National Hockey League, der besten Eishockeyliga der Welt, gedraftet. Leider haben sie mich sofort zurück an den Frölunda HC verliehen.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich liebe den Frölunda. Ich habe angefangen, in seinen Nachwuchsteams zu spielen, als ich vier Jahre alt war. Der Verein hat mir so viele Möglichkeiten geboten. Ich habe eben meine zweite Saison bei den Profis absolviert. Mit gerade neunzehn Jahren.
Aber es ist nicht die NHL. Ich war letztes Jahr echt enttäuscht, als die Kings meinten, ich solle noch ein Jahr in Schweden spielen. Nicht einmal zum Trainingslager für die Rookies wurde ich eingeladen. Das tat schon weh. Aber dieses Jahr ist es anders.
Heute Nachmittag, als ich mich auf den Weg in die Eishalle machen wollte, rief mein Agent an und hat mir mitgeteilt, dass ich am ersten August in L.A. erwartet werde. Ich bin vor Freude durch das Wohnzimmer im Hockeyhaus gehüpft. Es war nur schade, dass meine Kollegen vom Frölunda-Nachwuchsteam, mit denen ich mir dieses Haus am Rande von Göteborg gemietet habe, zu dem Zeitpunkt nicht da waren. Ich hätte gerne ihre neidischen Gesichter gesehen, wenn ich ihnen die freudige Nachricht verkünde. Aber die Saison in der Nachwuchsliga ist kürzer als die in der Profiliga und deswegen sind sie schon in den wohlverdienten Urlaub gefahren.
Kaum hat jeder ein Gläschen Champagner in der Hand, bugsiere ich unseren Verteidiger Anderson in Richtung des alten Pianos, das etwas verwahrlost in einer Ecke steht. Nur durch Zufall habe ich vor einiger Zeit herausgefunden, dass Anderson dieses Instrument beherrscht und das gar nicht schlecht. Um „We are the Champions“ von Queen herunterzuklopfen oder „Happy Birthday“ zu spielen, wenn einer aus dem Team Geburtstag hat, reicht es allemal. Und Ersteres ist heute mehr als gefragt.
Wir singen alle lautstark und schief mit, als Anderson kräftig in die Tasten haut. Nein, ehrlicherweise ist es mehr ein Grölen. Und kaum jemand beherrscht eine Textzeile jenseits des Refrains. Aber das macht nichts. Das macht überhaupt nichts.
Als Anderson nach dem Schlussakkord aufstehen will, drücke ich ihn bestimmt wieder zurück auf den kleinen, runden Hocker vor dem Instrument. Einmal war nicht genug. Das zustimmende Gejubel des restlichen Teams zeigt mir, dass sie meine Einschätzung teilen.
Und so singen wir ein zweites und dann noch ein drittes Mal. Irgendwann verliere ich den Überblick, wie oft wir das Lied schon gesungen haben, denn mit jeder Wiederholung stürze ich ein weiteres Glas Champagner hinunter. Auch Anderson gibt auf und versucht nicht mehr, nach Abschluss eines Liedes aufzustehen, sondern fängt gleich wieder von vorne an. Als Belohnung stelle ich auch ihm ein frisch gefülltes Glas aufs Klavier.
Es kommt jedoch der Zeitpunkt, an dem alle genug haben. Denn von Mal zu Mal singen immer weniger mit. Achselzuckend drehe ich mich um und lasse stolz meinen Blick über die Menge schweifen. Alle sind hier. Alle Spieler. Der komplette Trainer- und Betreuerstab. Alle reden aufgeregt laut. Die Wangen gerötet – vor Freude, vom Alkohol? – wer weiß das schon. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde. Es ist einfach ein perfekter Abend!
Mein Blick landet auf den Idioten Dietrich und Sörenson. Die beiden dachten echt, dass wir nicht mitkriegen würden, dass sie bereits die ganze Saison ficken. Mittlerweile haben sie es wenigstens offiziell zugegeben. Ich verstehe nicht, warum sie das so lange geheim gehalten haben. Ist doch nichts dabei. Wer ist denn nicht zumindest ein bisschen bi?
In dem Moment fällt mir auf, dass die beiden nicht allein sind. Dietrichs Miene ist leicht säuerlich, während Sörenson gerade mit einem zarten, dunkelhaarigen Mann lacht, der neben ihm sitzt. Anerkennend streift mein Blick über den schlanken Körper. Zumindest über den Teil, den ich sehen kann, da der Tisch, leider einiges verdeckt. Aber eins kann ich sagen: Den würde ich definitiv nicht von der Bettkante stoßen.
Schnell trinke ich das Glas aus, das ich in der Hand halte und stelle es auf dem Klavier, neben Andersons leeren Gläsern ab. Dann gehe ich mit bestimmten Schritten auf das Trio zu. Okay, zumindest versuche ich, mit bestimmten Schritten auf das Trio zuzugehen, denn der Alkohol zeigt bereits die ersten Effekte. Ich grinse.
Es ist ein gutes Gefühl, nach längerer Zeit wieder einmal angeheitert zu sein. Auch wenn ich oft den Eindruck vermittle, dass sich bei mir alles um Sex, Drugs and Rock’n’Roll dreht, bin ich normalerweise sehr diszipliniert. Ich achte genau auf meine Ernährung und halte mich an einen beinahe schon grausamen Trainingsplan, den ich zusammen mit meinen Coaches vom Frölunda plus einem Personal Trainer erstellt habe. Sonst hätte ich es nie dorthin geschafft, wo ich heute bin. Mit neunzehn bereits zwei Saisonen in der ersten schwedischen Liga gespielt zu haben und nur noch Wochen davon entfernt zu sein, ins Nachwuchstrainingslager der L.A. Kings zu fahren, schaffen nicht viele. Dafür müssen gewisse Opfer gebracht werden, aber das ist es wert.
Aber nicht heute. Heute schlage ich über die Stränge, wie es sich nach einer gewonnenen Meisterschaft gehört. Morgen werde ich dann meinen Rausch ausschlafen und den ganzen Tag das Bett nicht verlassen.
Und übermorgen wird mein Wecker wieder um 7 Uhr läuten und ich werde mit dem Off-ice-Trainingsplan, den wir über die die Saison verfeinert haben, anfangen. Die L.A. Kings werden Augen machen, wenn ich im Trainingslager aufschlage, und sie werden es aus tiefstem Herzen bereuen, dass sie mich letztes Jahr noch nicht dabeihaben wollten. Ich werde alle in Grund und Boden spielen.
Mittlerweile bin ich bei den dreien angekommen. Ich beuge mich nach unten und drücke dem immer noch missmutig dreinblickenden Dietrich einen dicken Schmatz auf den kratzigen Dreitagebart. Das geht doch nicht, wir haben gerade gewonnen! Was soll da so ein Gesicht?!
Aber Dietrich ist von meinen Mätzchen nicht amüsiert. Er drückt mich weg.
„He!“
Ich grinse ihn nur breit an.
„Was für eine Laus ist dir über die Leber gelaufen?“, frage ich direkt. Um den heißen Brei herumzureden, bringt selten etwas.
Um mir zu antworten, murmelt Dietrich „Nichts, nichts“ in das Gelächter von Sörenson und dem Unbekannten hinein. Göttlich!
Der Unbekannte schiebt seine Brille mit dem dicken, dunklen Rahmen seine Nase hinauf und nach einem schnellen Seitenblick zu Sörenson, den dieser mit einem fast unmerklichen Nicken quittiert, sagt er: „Dietrich ist nur eifersüchtig, weil ich Sören schon länger kenne als er.“
Ich schaue zwischen den dreien hin und her. Nie im Leben ist das die ganze Geschichte.
Ich ziehe einen Stuhl heran, drehe ihn um und setze mich rittlings darauf. Begierig warte ich, dass einer weitererzählt. Aber nichts kommt mehr.
Okay …
Also strecke ich dem Unbekannten meine Hand entgegen, und als er sie reflexhaft ergreift, sage ich: „Christian Griendstrom. Bester Stürmer, den der Frölunda HC jemals hatte.“
Wie erwartet, protestieren Dietrich und Sörenson, die ebenfalls Stürmer sind, auf meine Aussage hin sofort lautstark. Aber sie sind wohl nicht die Einzigen, die mich gehört haben. Unser Kapitän und Center in der ersten Linie, Gabriel Verieux, gibt mir einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
„Glaub ihm kein Wort“, meint er dann, an den Unbekannten gewandt.
Ich grinse einfach weiter. Meine Kollegen sind viel zu leicht auf die Palme zu bringen. Wie sollte ich da widerstehen?
Als sich die Aufregung um mich etwas gelegt hat, merke ich erst, dass mein Gegenüber noch immer meine Hand umklammert hält. Ich grinse noch breiter. Es gefällt ihm wohl, mir nahe zu sein. Wer kann es ihm verdenken?
Ich drücke seine Hand ein weiteres Mal. Da wird auch dem Schwarzhaarigen bewusst, dass er die ganze Zeit meine Hand gehalten hat. Es schleicht sich eine leichte Röte auf seine Wangen, als er sie dann doch loslässt. Schade eigentlich!
„Jakob“, murmelt er noch.
Süß!, durchzuckt es mich.
„Also, Jakob“, sage ich und genieße das Gefühl seines Namens auf meiner Zunge. „Gehe ich recht in der Annahme, dass du Sänger bist?“
Jakob sieht mich mit großen Augen an, während Sörenson schon wieder in schallendes Gelächter ausbricht.
„W-wie kommst du denn darauf?“
„Na ja, kein Nachname wie Cher, Shakira, Adele, Beyoncé …“