KAPITEL 1

Ein professionelles Foto

Jean

Mit zitternden Fingern ziehe ich mein Telefon aus meiner Hosentasche, während ich durch die opulenten Räume des großzügigen Schlosses Terenberg laufe. So wundervoll die königliche Residenz von Terengien, des kleinen, in der Nordsee gelegenen Inselstaates auch ist, so sehr muss ich hier raus.

Ich habe einen Fehler gemacht. Einen gewaltigen Fehler. Einen Fehler, den ich wohl mein ganzes Leben lang bereuen werde.

Mir ist zum Heulen zumute. Aber nicht hier! Nicht heute! Mir wurden schon genug schiefe Blicke zugeworfen, als ich den Ballsaal eben mit gezwungen ruhigen Schritten verlassen habe. Nachdem ich mit meinem Ex getanzt habe. Nachdem ich ihm über die Wange gestreichelt habe – was er im Gegensatz zu früher überhaupt nicht zu genießen schien. Nachdem ich ihm die Hand geküsst habe. 

Was habe ich mir nur dabei gedacht?! Erstens ist das eine total bescheuerte, altmodische Geste, die in der heutigen Zeit so was von überhaupt nicht mehr angebracht ist. Zweitens war mir zu dem Zeitpunkt schon mehr als klar, dass er meine Berührungen nicht mehr will. Und drittens hätte mich der ausgesprochen gut gebaute Hüne, mit dem Frederick den ganzen Abend abhing, beinahe nur mit seinem Blick getötet, als wir miteinander getanzt haben. Was dachte ich bloß, dass er tun würde, wenn ich Frederick dann auch noch küssen würde. 

Seinen Frederick!

Nicht mehr meinen.

Ein Schluchzen droht sich aus meiner Kehle zu lösen. Ich presse das Geräusch mit aller Kraft zurück. Nicht jetzt! Nicht hier! 

Es war ein unnötiges und sinnloses Risiko. Der Kuss. Der Tanz. Dass ich überhaupt nach Terengien geflogen bin. Unbewusst wandert meine freie Hand zu meiner Nase. Meine Nase, die bereits dreimal gebrochen war. Weil ich eben nicht schlau bin. Doktortitel hin oder her. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich sinnlos in Gefahr gebracht habe. Und fast immer hatte es mit einem Mann zu tun.

Da war mein erster Freund – noch zu Schulzeiten. Im Gegensatz zu mir konnte er nicht verstecken, dass er schwul ist. Als eines Tages dann ein paar unserer besonders netten Schulkollegen meinten, der Schwuchtel eine Lektion erteilen zu müssen, bin ich dazwischen gegangen – und meine Nase ging zum ersten Mal zu Bruch. Nicht, dass ich es bereut hätte. Auch wenn dieses undurchdachte und spontane Coming-out zu ziemlich turbulenten Zeiten geführt hat. Meine Eltern waren dabei nicht das Problem. Aber die dummen Schläger waren nicht die einzig homophoben Gestalten an meiner Schule. Und die Lehrer waren auch nicht gerade hilfreich. Naja, wenigstens haben sie nichts gesagt. Aber geholfen haben sie auch nicht. Nein, gerade der spitzfindige Mathelehrer war verdammt gut im Wegsehen.

Und an die anderen beiden Male, als meine Nase als Boxsack herhalten musste, will ich gar nicht erst denken. Irgendwie kann ich es gar nicht glauben, dass sie heute heil geblieben ist.

Aber Nase hin oder her … Ich muss hier weg. Daran gibt es keinen Zweifel.

Mittlerweile hat meine bevorzugte App zum Stressabbau auch in den dicken Gemäuern des barocken Palastes geladen. Während ich in das gemütliche Zimmer im Gästeflügel trete, das mir für meinen Aufenthalt hier zugewiesen wurde, scrolle ich über die Bilder, die mir angezeigt werden. 

Mein Weg führt mich sofort ins Bad, wo ich hastig meine Sachen zusammensuche und in meinen Kulturbeutel werfe. Doch dann zieht ein Bild meine Aufmerksamkeit für länger als nur ein paar Sekunden auf sich. 

Das ist es!

Der Nutzer ist online.

Willst du mich ficken?

tippe ich schnell mit einer Hand, während ich meine Kulturtasche in den Rucksack werfe, mit dem ich heute in der Früh nach Terengien gereist bin. Egal was der Fremde antwortet, ich werde nicht hierbleiben. Nicht in diesem Palast. Ich werde nicht hier herumsitzen und warten, um dann morgen Vormittag gemeinsam mit Frederick und seinem Was-auch-immer das Frühstück einzunehmen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Nein, ich werde meinen eigenen Weg finden. Darin war ich immer gut. Schon sehr früh war ich sehr selbstständig. Es blieb mir auch nicht viel anderes übrig. Meine Eltern waren beide absolute Workaholics. Sind es bis heute. Sie hatten nur wenig Zeit für ein Kind. Und nachdem ich bewiesen hatte, dass ich ganz gut alleine zurechtkomme, haben sie mich auch gelassen. Es war ein Fluch und ein Segen zugleich. 

Schnell dränge ich auch diesen Gedanken zur Seite. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu wühlen. Was passiert ist, ist passiert. 

Besser ist es, nach vorne zu schauen.

Nur worauf?

Elmar

Es ist Samstag! Ich habe bis Dienstag dienstfrei. Drei Tage ohne Verpflichtungen. Auch heute Abend habe ich nichts vor. Das heißt: Es ist endlich wieder einmal Zeit.

Mein bereits steifer Schwanz zuckt freudig in der dünnen grauen Stoffhose, die ich trage. Ja, wir freuen uns beide auf das, was jetzt folgen wird. Es ist viel zu lange her, seit ich mir das letzte Mal erlaubt habe, einen Mann zu vernaschen. Ein dunkler Fleck hat sich bereits dort gebildet, wo die Eichel den Stoff berührt. Doch ich widerstehe der Versuchung, mich selbst in die Hand zu nehmen. Meine Hand muss oft genug ausreichen. Heute nicht. Heute werde ich die Vorfreude genießen. Auch wenn sie mich in den Wahnsinn zu treiben droht.

Genussvoll lasse ich meinen Blick über die Bilder vor mir gleiten. Es ist wie ein Büffet. Ein Büfett, das von perfekten männlichen Exemplaren nur so strotzt. 

Kaum habe ich die ersten beiden Bilder für ein paar Sekunden betrachtet, gibt mein Handy einen eindeutigen Ton von sich. Jemand hat mir in der App eine Nachricht geschickt. 

Huch, das ging schnell.

Ich lese die Nachricht. Sie ist kurz und bündig:

Willst du mich ficken?

Warum nicht?

Doch ich schiebe meinen ersten Gedanken beiseite. Das ist mein Abend zum Genießen. Ich muss nicht den Erstbesten nehmen. Doch meine Neugierde siegt. Ich klicke auf das Profil.

Ein Foto prangt mir entgegen und lässt ein überraschtes Stöhnen aus meiner Kehle kommen. Im Gegensatz zu meinem recht kruden selbst gemachten Profilbild muss das ein professionelles Foto sein. In der Schwarz-Weiß-Aufnahme wird ein verlockender, knackiger Hintern der Kamera entgegengestreckt. Der Besitzer dieses bezaubernden Körperteils geht dabei ins Hohlkreuz, was die vollen Halbkugeln noch besser zur Geltung bringt. Aufgeregt zoome ich in das Bild hinein. 

Ein tief hängender, prall gefüllt Sack ist zwischen den leicht gespreizten Beinen zu erkennen. Mein Atem kommt schneller. Ich lecke mir erregt über die Lippen. Mit klopfendem Herzen zoome ich noch ein bisschen mehr in das Bild hinein.

Ist das …? Kann ich …? Fast kann ich auch ein verlockendes kleines Loch erahnen. Oh, verdammt!

Also, das würde ich auf jeden Fall gerne ficken!

Schnell tippe ich:

Wenn das dein echter Hintern auf dem Profilbild ist, dann ficke ich dich so oft, dass du morgen nicht mehr gehen kannst.

In Sekundenschnelle ist eine Antwort da. Ein breit grinsender Smiley. Bevor ich darauf reagieren kann, folgt eine Textnachricht: 

Soll ich es dir beweisen?

Oh Gott – ja!

Wie von selbst tippen meine Finger meine Adresse als Antwort. Ich weiß, dass es ein Risiko ist, einfach so einen mir unbekannten Mann in meine Wohnung einzuladen. Aber als Polizist fühle ich mich ausreichend trainiert, um ihn auch wieder aus meinen vier Wänden zu bekommen, falls etwas schieflaufen sollte.

Rufe gerade ein Taxi. Bin in zehn Minuten bei dir.

Jean

Acht Minuten später klingle ich an der Tür der Nummer 25 eines nichtssagenden Wohnungsblocks. Das Haus wird wohl aus den Siebzigerjahren stammen, wenn mich mein minimales architektonischen Wissen nicht im Stich lässt. Aber zum Glück bleibt mir keine Zeit für die Betrachtung der langweilig geraden Linien und kleinen Fenstern des beigen Gebäudes. Stattdessen dröhnt über die Gegensprechanlage eine angenehm tiefe, wenn auch verzerrte Stimme.

„Dritter Stock.“

Dann folgt auch schon der Summer. Kurz und auf den Punkt – wie unsere gesamte bisherige Interaktion. Perfekt!

Den Lift ignorierend, nehme ich mit großen Schritten immer zwei Stufen auf einmal. Eine Tür im dritten Stock steht offen. Im fahlen Licht des Ganges, der nur von einer einzelnen runden Deckenlampe beleuchtet wird, gehe ich darauf zu. Die Absätze meiner Lederschuhe klackern bei jedem Schritt auf dem grau-blauen Linoleumboden. 

Da tritt eine Gestalt in die Tür. Ja, ich bin hier so was von richtig! Nur mit einer dünnen grauen Jogginghose bekleidet, die nichts der Fantasie überlässt, steht ein groß gewachsener Mann mit kurz geschorenen hellbraunen Haaren in der Tür. Er ist sicher zehn Jahre jünger als ich. Schlank, aber muskulös und mit wachen Augen. 

Ohne ein Wort zu sagen, greife ich nach vorne, lege meine Hand in seinem Nacken und ziehe seine verlockend vollen Lippen auf die meinen. 

Für einen Moment versteift sich der sexy Mann unter mir, doch dann zieht er mich in seine Wohnung hinein, ohne dass sich unsere Lippen voneinander trennen. Als die Tür hinter uns hörbar ins Schloss fällt, ist es so, als ob alle Hemmungen fallen würden. 

Seine Lippen öffnen sich. Aber ich habe gar keine Chance, den Mund meines Partners zu erkunden. Nein, schon dringt seine Zunge fordernd in meinen. 

Ich bin gekommen, um zu vergessen. Und das tue ich. Vollkommen dominiert von dem wilden Kuss, kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Perfekt!

Nach weiß Gott wie langer Zeit müssen wir den Kuss kurz unterbrechen. Keuchend lege ich meine Stirn an die des Mannes, der mir in den nächsten Stunden geben wird, was ich brauche – daran besteht für mich kein Zweifel. 

Immer noch den süßen, gummibärigen Geschmack des Fremden im Mund, grinse ich ihn breit an.

„Also, ich bin Jean“, sage ich. „Schön, dich kennenzulernen!“

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