KAPITEL 1

Morgendliche Gespräche

Elmar

Zisch!

Huch?

Als ich blinzelnd die Augen öffne, erwacht auch meine Nase und verrät mir sofort, welches Geräusch mich geweckt hat. Ein glückliches Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Mein wunderbarer Mann kocht Frühstück. Wie viel Glück habe ich bitte, dass ich mich nicht nur in einen überaus attraktiven, intelligenten und liebevollen Mann verliebt habe, sondern dass er auch noch ein wahrer Zauberer in der Küche ist? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich seine köstliche, selbst gemachte Sauce hollandaise erschnuppere, was nur bedeuten kann, dass es Eier Benedict mit Speck und allem Drum und Dran gibt. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen.

Was für ein perfektes Frühstück nach einer langen Nacht.

Ein Katerfrühstück …

Die Ereignisse des gestrigen Abends kommen mir wieder in den Sinn. Das Klassentreffen, wo ich zum ersten Mal seit zwölf Jahren den Bullys meiner Kindheit gegenüberstand. Wo ich mich geoutet und Jean offiziell als meinen Verlobten vorgestellt habe – mit überwiegend positiven Reaktionen, von ein paar kleinen Ausnahmen abgesehen, aber das war zu erwarten. Anscheinend werden wir doch nicht alle reifer.

Das Gefühl, endlich mit diesem schmerzhaften Kapitel in meiner Geschichte abgeschlossen zu haben, ist großartig. Zum ersten Mal, seitdem ich die Hauptschule verlassen habe, kann ich auf diese Zeit zurückblicken und es tut nicht mehr weh. Im Englischen gibt es dafür den sehr passenden Begriff „closure“. Ich habe keine Ahnung, woher der Ausdruck kommt, aber das close – schließen – im Wort lässt eine Tür, die ins Schloss gefallen ist, vor meinem inneren Auge auftauchen. Und das passt. Ich bin fertig. Habe abgeschlossen. Diese Jahre und die Erinnerungen daran haben keinerlei Einfluss mehr auf mich und mein Leben.

Meine Gedanken wandern vom letzten Abend zu den Ereignissen der letzten Nacht. Und mein Grinsen wird noch breiter. Jean und ich werden heiraten. Jetzt wirklich. Es ist schon ein Jahr her, seitdem ich ihm den Antrag gemacht habe, aber wir – ich – haben nichts weiter getan, um die Hochzeit Realität werden zu lassen. Der Gedanke an die Reaktion meiner Eltern und die große Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht zu meiner Hochzeit kommen werden, liegt mir wie ein schwerer Stein im Magen. Aber ich beschließe, ihn zu ignorieren. Es ist, was es ist. Und auch wenn ich hier kein „closure“ habe und vielleicht auch nie haben werde, so lasse ich mich deswegen nicht davon abhalten, mein Leben so zu leben, dass ich glücklich bin. Und dass ich Jean glücklich mache.

Wenn man vom Teufel spricht …

Leise vor sich hin pfeifend, erscheint mein geliebter Mann in der Tür. Bekleidet ist er wie so oft, wenn er sich in der Küche austobt, nur mit einer seiner eng geschnittenen schwarzen Boxershorts und einer Schürze darüber. Begehrlich lasse ich meinen Blick über den perfekten Körper vor mir gleiten. Während ich schon immer eher muskulös war, was sich in den letzten Monaten noch deutlich verstärkt hat, seit ich mit unserem Freund Liam ins Fitnesscenter gehe, ist Jean groß und schlank. Er hat die drahtige Figur eines Läufers und die Eleganz eines Tänzers. Ich könnte ihm den ganzen Tag nur dabei zusehen, wie er sich bewegt. 

Mein Blick wandert über Jeans Körper und bleibt an der blauen Kaffeetasse, die er in der Hand hält, hängen. Meine Lieblingstasse, die ich von unserer ersten gemeinsamen Reise nach Sizilien mitgebracht habe.

„Du bist perfekt“, murmle ich mit morgenrauer Stimme, während Jean mir die mit herrlich duftendem Kaffee gefüllte Tasse entgegenstreckt und zwinkernd antwortet: „Ich muss mich doch bei dir entschuldigen, dass ich dich so früh geweckt habe.“

Mein Blick wandert zum altmodischen Wecker, der auf Jeans Nachtschränkchen steht. Da er immer Angst hat, dass seinem Handy einmal der Strom ausgeht und er deswegen zu spät zu seinem Dienst im Krankenhaus kommen könnte, verwendet er dieses Ungetüm. 7:58 Uhr zeigen die großen Digitalzahlen.

So früh ist das eigentlich gar nicht. Auch nicht für einen Samstag, an dem wir beide dienstfrei haben. Aber wenn ich bedenke, wie spät wir gestern ins Bett waren und dann wurde die Nacht ja auch noch unterbrochen … äußerst sexy und mit einem Gespräch, dass zu einer ausgesprochen überraschenden, aber mehr als willkommenen Entwicklung geführt hat …

„Ich wollte unbedingt mit dir frühstücken, bevor ich zum Kongress muss.“

Ah, der verdammte Kongress! Den hatte ich ja komplett vergessen. Der größte europäische Orthopädiekongress findet gerade in Terenberg statt und war auch der Grund, warum Jean gestern zu spät zu meinem Klassentreffen kam. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass er da heute Vormittag als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion noch einmal hin muss. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, wenn diese Tagung heute Mittag endlich vorbei ist!

Mein Seufzen erfüllt den Raum.

„Tu nicht so“, lacht Jean mich aus. „Du kannst gerne mitkommen.“

Ich verziehe das Gesicht und nippe an meinem Kaffee. Schon einmal hat Jean mich zu so einem Kongress mitgeschleppt, damals in Berlin. Ich kam mir vor wie im falschen Film. Die Vortragenden hätten genauso gut Chinesisch sprechen können. Ich habe kaum zwei Worte verstanden, während sich Jean begeistert Notizen gemacht hat. Nein, das tue ich mir nicht noch einmal an.

Mein lieber Mann hat wieder einmal kein Erbarmen mit mir und lacht nur noch mehr, als er meine Miene sieht.

„Na komm, dann lass uns wenigstens gemeinsam frühstücken.“

Ich nehme seine Hand und lasse mich von ihm hochziehen. Wie immer schlägt mein Herz vor freudiger Aufregung schneller, als Jean nicht zurückweicht, sondern meinen Körper ganz an sich zieht, mich fest umarmt und mir einen liebevollen Kuss auf den Mund drückt.

Noch vor zwei Jahren war ich fest davon überzeugt, dass es solche Gefühle, so eine tiefe Verbindung – Liebe – zwischen zwei Männern nie geben könnte. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden, dass ich Sex mit Männern gut finde, aber irgendwann meine beste Freundin Elisa heiraten werde. Noch nie war ich über irgendetwas in meinem Leben froher, als zugeben zu müssen, dass ich in diesem Fall falschlag. Was Jean und ich teilen, ist einfach etwas ganz Besonderes und ich danke allem, was Gut und Heilig ist, jeden Tag dafür, dass ich diesen Mann in meinem Leben habe.

Meine Kaffeetasse halte ich zur Seite, damit wir uns ja nicht versehentlich verbrühen, und drücke mit dem anderen Arm Jean fest an mich. Ich genieße das solide Gefühl, ihn so zu spüren. Liebevoll streicht er mir über den Rücken. Ich habe den Eindruck, dass er diese Umarmungen genauso genießt wie ich.

Schließlich lasse ich von ihm ab: „Ich verschwinde noch schnell im Bad.“

Mit einem letzten Kuss auf die Nase nimmt Jean mir die Tasse aus der Hand und geht in Richtung unserer großen Wohnküche. 

„Beeil dich“, singt er dabei vor sich hin.

Und das tue ich. Kaum drei Minuten später sitzen wir an dem schön gedeckten Küchentisch. Jean hat sogar die edlen cremeweißen Stoffservietten herausgekramt, die seine Mutter uns zu Weihnachten geschenkt hat. 

Die Tür zu dem kleinen Balkon ist geschlossen und auch meine geliebten Kastanienbäume unten an der Straße stehen mitten im März noch kahl, wobei ich mir einbilde, hier und da schon etwas Grün hervorblitzen zu sehen. Es ist ein herrlicher Morgen. Die Sonne scheint durch die Fenster herein und erhellt den Raum und den Tisch. Sessi, unsere kleine Katzen-Prinzessin, liegt auf dem Rücken auf einem Kissen direkt vor der Balkontür und lässt sich von der Sonne den offensichtlich gut gefüllten Bauch wärmen. Wie es aussieht, hat Jean sie schon gefüttert.

Kann es einen besseren Start in den Tag geben?

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